

Ein blendend heller Vollmond stand im nachtschwarzen Himmel. Davor bewegten sich Äste wie Scherenschnitte im Wind. Isolde ritt verzweifelt durch den Wald und wusste, dass sie sich verirrt hatte. Sie suchte Johann und Gottfried, rief ihre Namen, konnte sie aber nicht finden. Auf einmal gab es ein lautes Krachen im Unterholz und hervor brach Phaia. Riesig war sie, so groß wie ein Pony, und sie stürzte wutschnaubend auf sie zu.
Mit einem Schrei fuhr Isolde aus ihren Kissen. Oh Gott, sie hatte geträumt! Sie hatte nur geträumt, aber ihr Herz hämmerte weiter. Das Zimmer war in fahles Licht mit scharfen Schatten getaucht. Tatsächlich stand draußen ein heller Vollmond hoch am Himmel.
Aufseufzend ließ sie sich in das weiche Bett zurückfallen und zog das warme Deckbett über ihre Schultern. Sie waren gestern Abend, eine ganze Weile nach Einbruch der Dunkelheit, hier angekommen. Isolde konnte sich nur an wenig vom Rest ihres Weges erinnern. Sie war einfach nur immer Jacob hinterhergeritten, bis sie Lichter in der Ferne sah und fast in Tränen ausgebrochen wäre. Endlich hatten sie es geschafft, einen bewohnten Ort zu erreichen.
Der Wirt des Gasthofes hätte sie beinahe gar nicht aufgenommen, so abgerissen und schmutzig standen sie vor seiner Tür. Erst ein Blick auf ihre Ponys und das Gepäck schien ihn davon zu überzeugen, dass sie zahlen konnten.
Isolde hatte so lange in einem heißen Waschzuber gelegen, bis die neuen Schwielen an ihren Händen aufgequollen waren. Später ließen sie sich vom Wirt ein gewaltiges Abendessen hinauf auf ihre Zimmer bringen. Es wäre aufgefallen, wenn Jacob mit zwei Damen in der Gaststube gespeist hätte. Außerdem wollte er sich ein wenig in den Gassen umhören und mit anderen Reisenden sprechen, die unten am Ausschank saßen.
Isolde rollte sich wohlig auf die Seite. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, hier so schön warm und trocken in einem Bett zu liegen, während Gottfried und Johann in der kalten Nacht ausharren mussten. Aber das hielt sie nicht davon ab, wenige Sekunden später wieder in tiefen, diesmal traumlosen Schlaf zu sinken.
Am Morgen stand sie früh auf. Sie hatten verabredet, in Walburgas etwas größerem Zimmer gemeinsam mit Jacob ein Frühmahl zu sich zu nehmen und ihm dann auf Wiedersehen zu sagen, wenn er losritt, um Johann und Gottfried zu holen. Die beiden Frauen fanden sich pünktlich ein, aber Jacob ließ auf sich warten.
Erst dachten sie sich nichts dabei. Sicherlich hatte er noch einiges zu erledigen. Aber als die Sonne immer höher stieg, begannen sie, sich Sorgen zu machen.
„Vielleicht ist er doch schon losgeritten“, überlegte Walburga. „Wir sollten nachschauen, ob eins der Ponys fehlt.“
Aber dazu kamen sie nicht mehr, denn plötzlich hörten sie polternde Schritte auf der Treppe und dann wurde laut an ihre Tür gepocht.
„Aufmachen! Sofort aufmachen!“, brüllte eine Männerstimme. „Öffnet die Tür oder wir öffnen sie!“
Erschreckt eilte Walburga zur Tür und schob den Riegel zurück. Herein trat ein offensichtlich wütender Mann in gutem Tuch, gefolgt von vier Bütteln. Er maß die beiden Frauen mit einem verächtlichen Blick und brüllte dann: „Ergreift sie!“
Isolde und Walburga schrien unwillkürlich auf, als sie grob an den Armen gepackt wurden.
„Aber was soll das?“, rief Isolde. „Wir haben doch gar nichts getan!“
„Das muss eine Verwechslung sein!“, versuchte Walburga, sich ebenfalls Gehör zu verschaffen. Aber die Büttel führten sie ab, ohne auch nur mit einem Wort auf sie einzugehen. Die beiden sahen bald ein, dass es keinen Sinn hatte, sich zu wehren. Auf der Gasse angekommen, erblickten sie zum ersten Mal das Dorf bei Tageslicht. Es war eine beachtliche Ansiedlung von Häusern.
Überall traten die Leute aus ihren Türen oder schauten zum Fenster hinaus. Gaffend beobachteten sie, wie Isolde und Walburga zum anderen Ende des Dorfes gebracht wurden. Dort stieß man sie so heftig in eine gemauerte Hütte, dass Walburga sogar stolperte und hinfiel. Hinter ihnen krachte eine schwere Tür ins Schloss und sie hörten, wie draußen Riegel vorgeschoben wurden und sich die Schritte entfernten.
Vollkommen verdattert blickten sie ins Halbdunkel des Raumes. Licht fiel nur durch ein kleines Loch oben an der Decke und unter der Tür hindurch.
„Nicht erschrecken“, klang es ächzend aus einer dunklen Ecke. Aber sie erschraken natürlich doch, und erkannten dann erst Jacobs Stimme.
„Jacob, um Himmels Willen, was soll das alles?“ Walburga war kurz davor, in Panik zu geraten. Wieder hörten sie ihren Freund ächzen.
„Jacob, ist dir irgendetwas passiert? Bist du in Ordnung?“ Isolde eilte in die dunkle Ecke und tastete dort auf dem Boden herum.
„Halb so wild“, stöhnte ihr Freund. „Gebrochen ist, glaube ich, nichts, aber sie haben mich ziemlich verprügelt, fürchte ich.“
„Aber warum? Was hast du gemacht? Was ist geschehen?“
Mit Hilfe der Frauen richtete Jacob sich vorsichtig auf. Als er an der Wand lehnend eine einigermaßen bequeme Position gefunden hatte, begann er, unter vielen schmerzenden Atemzügen, stockend zu erzählen.
„Ich habe mich gestern Abend ein wenig umgehört. Bin in der Gaststube mit ein paar Dorfbewohnern ins Gespräch gekommen. Natürlich habe ich mich unauffällig erkundigt, ob es hier letzthin Probleme mit Wildschweinen gegeben hat. Ich wollte wissen, ob Phaia vielleicht in der Nähe vorbeigekommen ist.“ Jacob stöhnte kurz auf und änderte seine Position. Er war wirklich ordentlich in die Mangel genommen worden.
„Ich hätte da schon vorsichtig werden sollen, denn meine Fragen nach Wildschweinen schienen den Männern Verdruss zu bereiten. Aber ich habe gedacht, dass sie halt Wildschweine nicht mögen, weil sie die Ernte zerstören. Und dann habe ich einen Fehler gemacht. Ich habe weitergeredet und gefragt, ob hier in der Gegend mit Wildfallen gejagt würde. Und da sind sie alle aufgesprungen, haben mich gepackt und so etwas wie ‚Haben wir endlich einen von euch‘ geschrien. Sie haben mich aus dem Wirtshaus geworfen, mich vor das Dorf geschleppt, und da ging es dann los.“
Es war eindeutig, dass Jacob sich nicht gern an das erinnerte, was er jetzt erzählte. Isolde und Walburga hockten entsetzt neben ihm.
„Es kamen immer mehr dazu. Sie verhörten mich. Über ihre Fragen bekam ich heraus, dass hier anscheinend schon seit Jahren Wilderer ihr Unwesen treiben. Sie stellen Fallen und erlegen so viel Wild, dass für die Dorfbewohner nichts mehr übrigbleibt. Die müssen aber für das Recht zu jagen bezahlen, ob sie nun etwas erbeuten oder nicht.
Es muss eine ganze Bande von Wilderern sein, denn es braucht mehrere Menschen, um so viele Fallen zu kontrollieren und den gesamten Bestand an Reh- und Damwild zu vernichten. Wildschweine sind hier schon lange nicht mehr gesehen worden. Und dann kam ich und habe diese, aus ihrer Sicht, sehr verdächtigen Fragen gestellt.
Aber wie Ihr seht, konnte ich niemanden davon überzeugen, dass ich kein neues Mitglied dieser Wildererbande bin. Sie wussten, dass wir direkt aus dem Wald gekommen waren, und ich konnte ihnen ja nicht plausibel erklären, warum wir nicht die Straße genommen hatten, ohne unser Geheimnis zu lüften. Aber im Grunde wollten sie, glaube ich, auch gar nichts hören, was uns entlastet hätte. Sie wollen einfach endlich jemanden für die Wilderei zur Rechenschaft ziehen. Und für euch gilt dann wohl: Mitgehangen, mitgefangen“, endete Jacob resigniert.
„Was für ein Schlamassel!“, jammerte Walburga. „Wir müssen es ihnen erklären. Sie müssen uns doch zuhören!“
„Sicher“, antwortete Jacob. „Sie werden uns zuhören. Das haben sie mir schon gesagt. Sie holen den Richter und der wird uns anhören und darüber entscheiden, ob wir Wilderer sind, oder nicht.“
„Sehr gut“, atmete Isolde auf. „Den werden wir schon überzeugen.“
„Es gibt nur einen Haken an der Sache“, tönte es kleinlaut aus Jacobs dunkler Ecke.
„Und der wäre?“, fragte Isolde bange.
„Der Richter ist für den ganzen Amtsbezirk zuständig und erst frühestens in einer Woche hier.“
*
Gottfried wusste nicht, wie er es Johann schonend beibringen sollte. Aber sein Freund da unten in der Erdspalte ließ sich nicht mehr länger hinhalten. Er wollte jetzt sofort wissen, was die Kristallkugel gezeigt hatte. Gottfried holte tief Luft, kniete sich an den Rand des Abgrunds und sagte:
„Die Kugel zeigt nichts, Johann. Gar nichts. Egal, ob ich mich auf Jacob, Isolde oder Walburga konzentriere.“
„Hast du sie auch sicher auf die Zukunft gedreht?“
„Ja, ich habe auch die Probe aufs Exempel gemacht und sie zur Vergangenheit umgedreht. Da sehe ich die drei sofort, wenn ich an sie denke.“
„Hast du auch den ganzen Wald rund um das Lager angeschaut?“
„Ja, habe ich.“
„Das kann nicht wahr sein! Gib mir die Kugel, wirf sie mir herunter.“
„Das ist keine gute Idee, Johann. Wenn die Kugel einmal bei dir unten ist, bekommen wir sie nicht wieder herauf. Und vielleicht brauchen wir sie hier oben mehr.“
„Verdammt, ich will hier raus“, tobte Johann. Er trat gegen den Fels und schlug mit der Faust dagegen. „Ich will aus diesem scheiß Loch hier raus!“
Gottfried wartete, bis sich Johann etwas beruhigt hatte. Er war selbst der Verzweiflung nahe. Was sollten sie jetzt tun? Und was war mit den anderen passiert, dass sie nicht zurückkamen?
Sie fingen an, zu diskutieren. Genau genommen fingen sie an zu streiten. Egal welche Idee der eine hatte, um irgendetwas an der misslichen Lage zu ändern, der andere kommentierte sie mit Worten wie „Schwachsinn“, „Vergiss es“, „Das kann nicht dein Ernst sein“ oder „Bist du wahnsinnig?“.
Am schnellsten waren sie sich darüber einig, dass es keine Lösung war, wenn Gottfried jetzt auch noch allein losritt. Was immer den anderen dreien widerfahren war, konnte Gottfried ebenfalls geschehen und dann wäre Johann einem langsamen Hungertod ausgeliefert.
Sie mussten irgendeine Möglichkeit finden, Johann doch noch, nur mit ihrer beider Kräfte aus der Erdspalte zu retten.
Johann überlegte, ob er seine Muskeln und Geschicklichkeit so viel trainieren konnte, dass er in ein paar Wochen selbständig nach oben klettern konnte. Diese Idee scheiterte aber an ihren begrenzten Nahrungsmittelvorräten. Selbst wenn sie jetzt sehr sparsam aßen, würden sie allerhöchstens noch drei Tage zu essen haben.
Eine Sache, über die sie lange nachdachten, war, alles, was Gottfried finden konnte, in die Grube zu werfen, bis sie so voll war, dass Johann herausklettern konnte. Aber hier im Wald gab es nur Blätter und Büsche und sie hatten keinen Spaten oder dergleichen.
Über diesen Gedanken fanden sie schließlich zu einer Variante, die sie versuchen wollten. Johann sollte sich auf die Suche nach einem erst vor kurzer Zeit gefallenen Baum machen und ihn mit Hilfe der Ponys herschleifen. Sie wollten den Stamm in die Höhle gleiten lassen, und so eine Art Steg nach oben schaffen.
Aber zuerst mussten sie noch eine Nacht abwarten, denn es war inzwischen dunkel geworden.
Sie schliefen beide so gut wie gar nicht, starrten in die vom Mondschein veränderte Nacht und warteten auf die Morgendämmerung.
Gottfried sattelte im allerersten Licht ein Pony und machte sich auf den Weg. Das Wetter erlaubte ihm, später auf seiner eigenen Spur wieder zurückzufinden. Er hatte beschlossen, sicherheitshalber sternförmige Erkundungsritte zu machen. Es durfte jetzt auf keinen Fall noch irgendein weiteres Missgeschick passieren.
Er ritt den halben Tag immer hin und her, aber außer ein paar dickeren Ästen oder schon vermoderten Stämmen fand er nichts Brauchbares. Am Nachmittag stieß er endlich auf einen liegenden Baum, der wahrscheinlich bei dem Sturm vor einigen Tagen umgestürzt war. Er war regelrecht abgeknickt und noch über viele dicke Holzfasern mit seinem Wurzelteller verbunden, der halb aus der Erde ragte.
Die nächste Frage war, wie Gottfried diese Fasern durchtrennen sollte. Genauso gut hätte er versuchen können, einen noch stehenden Baum mit dem Messer zu fällen. Er hatte weder Axt noch Beil noch Säge dabei.
‚Feuer‘, dachte er, ‚ich werde das Holz verbrennen.‘
Aber das war leichter gesagt als getan. Natürlich wusste Gottfried, dass frisches Holz nicht brennt, aber er hoffte, dass eine stetige Flamme die Fasern schnell austrocknete und sie dann doch Feuer fingen.
Nachdem er zwei Stunden lang brennende Äste unter den Knick im Baumstamm geschoben hatte, waren die Holzfasern zwar schwarz, aber immer noch fest und zäh.
Gottfried suchte sich einen großen Stein und schlug auf die schwarzen Stellen ein. Sie gaben nach, brachen aber nicht. Wütend schleuderte er den Stein weit von sich. Das funktionierte alles nicht.
Und überhaupt: Selbst wenn er den Stamm von der Wurzel hätte trennen können - dieser Baum war so groß und schwer, dass es schon eines echten Rückemulis bedurfte, um ihn auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Vorausgesetzt, jemand hätte vorher alle Äste abgetrennt…
Verzweiflung kroch in Jacobs Herz. Es schien nur noch die eine Möglichkeit zu geben: Er musste losreiten und Johann allein zurücklassen.
Aber als er in der Abenddämmerung wieder zu seinem heruntergebrannten Lagerfeuer und der Erdspalte zurückgekehrt war, wollte Johann nichts davon wissen. Er hatte sich inzwischen wieder etwas Neues überlegt.
„Wenn du nur einen starken Ast findest, der gut einen Meter lang ist, dann könnten wir ihn so an den Felswänden verkeilen, dass ich mich daran hochziehen könnte.“
„Ach, Johann, hör auf. Das ist viel zu gefährlich. Was, wenn du dir da unten auch noch die Beine brichst?“
„Aber irgendetwas müssen wir doch versuchen!“
Sie aßen nicht an diesem Abend. Sie waren wie erstarrt. Und sie trauten sich nicht, an ihre schwindenden Vorräte zu gehen. Auch sprachen sie nicht mehr miteinander, seit es dunkel geworden war.
Wo waren Isolde und Walburga? Wo war Jacob? Was war mit ihnen geschehen?
Am nächsten Morgen blieben sie beide einfach still in ihren Decken sitzen. Sie wussten nicht, was sie tun sollten, und wollten sich zu keiner der schwerwiegenden Entscheidungen überwinden. Lieber hätten sie mit einer Wildsau gekämpft oder auch mit einem Ghul, als hier hoffnungslos im Wald festzusitzen.
Gerade entschloss sich Gottfried, ein weiteres Mal Johanns Willen zu übergehen und allein loszureiten, als er ein Geräusch hörte. Stimmen. Weit entfernt, aber eindeutig Stimmen. Sie klangen unbesorgt und gut gelaunt.
„Johann! Hörst du das?“, zischte er in die Spalte hinunter. „Da kommen Leute! Ich höre sie miteinander reden!“
„Na dann hol sie! Rufe, schreie, los, los, los!“
Sie hatten so lange in Stille und Heimlichkeit gelebt, dass es Gottfried zuerst widerstrebte, lauthals auf sich aufmerksam zu machen. Aber dann brach die Überzeugung in ihm durch, dass dies das Ende ihres furchtbaren Dilemmas sein könnte.
„Hey, hooo!“, brüllte er und winkte in Richtung der Stimmen. „Halloo! Hier! Hilfe! Helft uns!”
Und dann sah er sie. Drei Männer auf großen Pferden, die in wiegendem Schritt durch den Wald ritten und sich fröhlich miteinander unterhielten. Sie kamen genau aus der Richtung, aus der sie selbst hier angelangt waren. Als sie sich näherten, traute Gottfried seinen Augen nicht. Die drei ritten bis an sein kümmerliches Lager heran und zügelten die Pferde.
„Schaut an, haben wir es uns doch gedacht!“, sagte einer mit hellem, langem Haar.
„Ich hätte schwören können, dass sie sich in Schwierigkeiten bringen würden“, spottete ein anderer mit einem wirren, kupferfarbenen Bart. Sie schienen Gottfried vollkommen zu ignorieren und sprachen nur miteinander.
„Sie scheinen ihre beiden hübschen Frauen verloren zu haben.“
„Wahrscheinlich sind die mit jemand Gescheiterem durchgebrannt.“
Der Schwarzhaarige sagte nichts, aber seine Augen hatten die Lage längst erfasst, die Ponys gezählt und den gähnenden Abgrund im Boden gesehen. Gottfried wusste nicht, ob er wütend werden oder lachen sollte. Vor ihm auf ihren Pferden saßen Wolfgang, Friedrich und August!
„Oh, meine Güte!“ Gottfrieds Stimme versagte fast vor Erleichterung. „Was für ein Zufall! Oder wie kommt Ihr hierher? Hat Jacob Euch geschickt?“
Wolfgang saß von seinem Pferd ab, warf die Zügel über den Sattel und umarmte Gottfried herzlich.
„Es ist kein Zufall“, sagte er und hielt Gottfried auf Armlänge von sich weg, um ihm in die Augen zu sehen.
„Wir hatten unsere Geschäfte erledigt und festgestellt, dass es uns doch vor Neugier fast zerrissen hat. Zu gern wollten wir wissen, auf was für einer geheimen Mission Ihr seid.“
„Außerdem sind wir hoffnungslos in Eure Frauen verliebt“, alberte Friedrich.
„Aber eigentlich war uns hauptsächlich klar, dass wir Euch nicht in Euer Verderben reiten lassen konnten, also nahmen wir Eure Spur auf“, ließ sich mit gewohnter Arroganz der junge August hören.
„Und wie man sieht, sind wir kein bisschen zu früh gekommen“, bemerkte wieder Friedrich und beugte sich vorsichtig über das klaffende Loch im Boden. „Herr Johann, seid Ihr das da unten?“
Johann rief ein Willkommen nach oben. Ihm zitterte die Stimme vor Freude über dieses unerwartete Treffen.
Es war unglaublich und fast beschämend, wie einfach und schnell Johann mit Hilfe eines einzigen starken Seils aus seinem Gefängnis befreit werden konnte. Als er endlich das Sonnenlicht wiedersah, begann er ziellos zu gehen. In weiten Kreisen schritt er beschwingt um Gottfrieds kleine Feuerstelle herum und rief ein ums andere Mal, wie wunderbar es sei, mehr als einen Meter am Stück zu laufen.
Die anderen schlugen gutgelaunt ein Lager auf, fachten das Feuer an, packten Bündel voller geräucherter Würste und Zwiebeln aus und begannen zu kochen. Sogar ein Schlauch mit Wein kam zum Vorschein.
Und so fand sie der Abend an einem hellen Feuer, von dem kleine Funken hoch in die Lüfte tanzten. Der ganze Wald duftete nach Bratwurst. Sie sprachen lange und ausführlich von ihren Fahrten und der Kristallkugel, die ihnen verriet, dass ihre Frauen und Jacob in Schwierigkeiten waren. Die Kugel wanderte von Hand zu Hand, wurde erprobt und bewundert.
Ihre drei Retter erzählten davon, wie sie nach kurzer Zeit festgestellt hatten, dass sie sich alle drei immer wieder fragten, was aus ihren neuen Bekannten geworden war. Und dass sie aus einer plötzlichen Laune heraus beschlossen hatten, ihnen zu folgen, weil sie sich nicht nur ernsthafte Sorgen machten, sondern auch den Eindruck gewonnen hatten, dass es hier um eine wichtige Sache ging.
„Aber Ihr müsst jetzt nichts über Eure Mission verraten“, beschwichtigte Wolfgang. „Wir wollen morgen aufbrechen und erst mal den Rest Eurer Truppe finden. Dann sehen wir weiter. Ihr sollt gemeinsam entscheiden, ob Ihr uns in Euer Geheimnis einweiht.“
„Wir sind jedenfalls froh“, ergänzte Friedrich, „dass uns unsere Ahnung hierhergebracht hat.“
„Und wir erst“, murmelte Gottfried.
Johann sagte nichts. Er lehnte bequem an einem Bündel Decken, hatte die Beine übereinandergelegt und genoss es, nach fünf Tagen auf zwei Quadratmetern wieder über der Erde, in reeller Gesellschaft von Freunden und frei zu sein.
Fortsetzung im nächsten Kalendertürchen.
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